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Kein Salz, Kein Fett: In der Erbsensuppe schwammen noch kleine Würmer

Erinnerungen an schreckliche Zeiten – aus der Geschichte der Donauschwaben ‚Großer Heuberg/Degerfeld‘

Von Wolfgang Born:
Die Lebensgeschichte von MART SCHICK, geboren 1936 in Mramora im Banat, ist geprägt von der leidvollen Nachkriegszeit. Die schweren Zeiten mit der Vertreibung, der Internierung im Lager sowie die Anfänge in der neuen Heimat sind ihm bis heute unvergessliche und einschneidende Erlebnisse geblieben.

Mramorak im ehemaligen Jugoslawien war ein kulturell und religiös gemischtes Dorf: Die Hälfte der Einwohner bestand aus Deutschen, die sich um das Jahr 1820 hier ansiedelten. Ein Viertel der Bevölkerung waren Serben und ein Viertel Rumänen.

Porträt: Geboren im Banat, vertrieben, kaserniert im Lager Rudolfsgnad, Aufbruch nach Deutschland: Der Straßberger MARTIN SCHICK erinnert an dunkle Zeiten, die Kraft geben auch im Corona-Jahr.

Drei Kirchen schmückte mit ihren Türmen das Ortsbild. Die serbisch-orthodoxe und die ungarisch-orthodoxe Kirche standen mitten im Dorf. Die deutsch-evangelische -lutherische Kirche befand sich im Herzen des deutschen Siedlungsteiles. 124 Jahre nach der Ansiedlung endete die Geschichte einer friedlichen Koexistenz verschiedener Völker in Mramorak. Insgesamt 3500 Deutsche, die noch 1944 im Ort lebten, wurden nach Kriegsende ihrer Heimat beraubt und vertrieben. Der heute 84-jährige MARTIN SCHICK erinnert sich: „Mein Vater ist 1944 gefallen. Im Frühjahr 1945 kamen Partisanen zu uns ins Haus. Wir mussten mit den Kleidern, die wir am Leibe trugen, auf die Straße. Dort waren schon alle Nachbarn versammelt. Es ging runter ins Dorf, wo meine Mutter sowie alle anderen Frauen ihren Schmuck und ihre Wertsachen abgeben mussten. Danach wurden wir auf leerstehende Häuser verteilt. Mehrere Familien teilten sich einen einzigen Raum“.

MARTIN SCHICK fährt fort in seiner Erzählung: „Die Familie blieb dort für einige Monate. Wir Kinder mussten Hühner und Kleingeflügel sammeln und auf einem großen Hof abgeben. In Eisenbahn-Viehwagen wurden wir ins Lager Rudolfsgnad gebracht. Die Fahrt dauerte einen Tag und eine Nacht“.

Im Lager Rudolfsgnad waren 21 000 Deutsche untergebracht wovon nahezu die Hälfte an Hunger, Fleckfieber und Typhus starben. Drei Familien mussten sich einen kleinen Raum teilen.

Nach sechs Monaten kam die Familie SCHICK in ein anderes Haus des Lagers, wo sich sogar vier Familien in einem Raum aufhalten mussten. Bis zu 16 Personen lebten in dieser drangvollen Enge. Essen gab es in der sogenannten Mensa – eine Woche lang Erbsensuppe, nur mit Wasser und ohne Salz und Fett zubereitet. In der Suppe schwammen noch kleine Würmer rum. In der zweiten Woche gab es Gerstensuppe, ebenfalls ohne Salz und Fett zubereitet.

Nach einem Jahr war der damals zehnjährige MARTIN so geschwächt, dass er nicht mehr laufen und sich nur noch auf allen Vieren fortbewegen konnte. In einem Heim wurde er mit Brei, Maisschrot und Milch wieder aufgepäppelt und kehrte nach vier Wochen zurück zu seiner Familie nach Rudolfsgnad. Bis heute ist MARTIN SCHICK in lebhafter und schmerzlicher Erinnerung geblieben, was die Frauen zu seiner Mutter sagten: „Jetzt lebt er nicht mehr lange, jetzt hat er Wasser“. Sein Bauch war aufgebläht und voller Wasser.

Nach drei entbehrungsreichen Jahren kamen die Mutter und der Bruder 1948 zur Zwangsarbeit ins Ried. MARTIN SCHICK und seine Schwester waren noch zu jung und mussten zu Hause bleiben. Ein Jahr später wurden die Geschwister in eine serbische Schule eingeschult. Damals beherrschten sie die Sprache weder in Wort noch Schrift, da zu Hause Deutsch gesprochen wurde.

Nach der vierten Klasse kam MARTIN SCHICK für ein Jahr auf die Höhere Schule“. Die Schulzeit endete für ihn 1953, im selben Jahr kam die Familie mit Hilfe des Roten Kreuzes nach Deutschland. Erste Station war ein Durchgangslager in Piding bei Bad Reichenhall. Von dort ging es weiter nach Ulm, Balingen und Hechingen. Schließlich landete die Familie im November 1953 in Wellendingen im Kreis Rottweil. Die zur Verfügung gestellte Wohnung war gänzlich leer. Es gab weder Tisch, Stuhl noch ein Bett.

Die kleine Witwenrente der Mutter reichte bei weitem nicht zum Kauf von Möbeln. Doch schnell fand MARTIN SCHICK Arbeit in der Metallwarenfabrik Josef Hafner nur zwei Straßen von der Wohnung entfernt.

Nach sieben Jahren wechselte er zu einer Zimmerei, danach arbeitete er bis zur Rente bei der Firma Paul Hafner. Im Jahr 1959 lernte MARTIN SCHICK seine Frau MARIA kennen. Die beiden bauten ein Haus und 1962 trat das Paar vor den Traualtar. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor. Im Jahr 1994 verstarb die Ehefrau nach schwerer Krankheit. Beim Tanz lernte MARTIN SCHICK seine jetzige Lebensgefährtin RENATE BANTLE kennen. Nach seiner Pensionierung zog er zu ihr nach Straßberg. „Hier fühle ich mich wohl und komme mit allen gut zurecht. Trotz der vielen durchlebten Strapazen erfreue ich mich heute noch guter Gesundheit, ich arbeite viel im Garten und freue mich über jeden neuen Tag“, erzählt der 84-Jährige.

MARTIN SCHICK blickt auf ein erfülltes und arbeitsreiches Leben zurück. Doch die schlimmen Er­lebnisse im Lager Rudolfsgnad, wo er schon als junger Mensch viel Elend und Leid erleben musste, sind bis heute präsent. Es war eine andere Lebenswirklichkeit als sie die heutige Generation durch den Aus­bruch der Corona-Pandemie erlebt. Er hält sich strikt an die Vorgaben und geht nur zur Besorgung des Nötigsten aus dem Haus. Ausnahmen sind seine Spaziergänge in der Natur.

Die Menschen sterben an Hunger und Krankheiten

HINTERGRUND: In Rudolfsgnad, serbisch Knicanin, bestand von 1945 bis 1948 ein sogenanntes Arbeitslager, in welchem hauptsächlich volksdeutsche Frauen, Kinder und Ältere untergebracht waren. Das Lager verzeichnete in diesem Zeitraum laut Wikipedia rund 33 000 Insassen, von denen nachweislich 9500 dort gestorben sind, wobei es auch nicht bestätigte Schätzungen von bis zu 13 000 Toten gibt. AUFLÖSUNG Hauptsächliche Todesursachen waren Hunger und Krankheiten wie Fleckfieber und Typhus. Das Lager wurde 1948 unter anderem auf Druck des Roten Kreuzes und des Vatikans

Quelle: Bilder Fam. Archiv Martin Schick
Text Wolfgang Born, Zollern-Alb-Kurier